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Titel Arnfrid Astel, Freie Dankrede Gustav-Regler-Preis 2011

Ja, ich danke dir, Klaus, für deine wunderbare Rede. Und ich danke vor allem Gustav Regler, daß er mir auf verschlungenen Umwegen über lange Zeit hin den Preis hat zuerkennen lassen, mit Hilfe vieler seiner Verehrer. Zum Beispiel Gerhard Schmidt-Henkel, der hier sitzt, worüber ich mich besonders freue, und viele andere. Und ich hätte es nicht unbedingt erwähnt, aber Sie haben es ja erwähnt, dieses Gedicht, das ich hier leichtsinnigerweise 1978 aufgeschrieben habe, nach der Feier zum 80. Geburtstag. Und das ist sogar hier an der Wand, ich bin ganz erschrocken. Aber da man ja Gedichte an der Wand nicht liest, lese ich’s jetzt mal vor. (Lachen)

Regler auf, Regler zu:
Zensur und Kulturpreis,
Rufmord, Feierstunde,
Gladiolen und Schwert.
Erst Ausbürgerung,
dann »Sohn unserer Stadt«.
Nach Hitler, Goebbels
und dem Kultusminister Strauß
bist du jetzt im Wechselrahmen.
Immer das alte Lied:
Nach der Verketzerung
die Heiligsprechung.
Wenn du den Killern entkommst,
benennen die schließlich
noch eine Straße nach dir.
Die springen doch auf jeden
fahrenden Zug auf,
die waren schon immer
für dich, wirklich,
das sind deine Entdecker.

Ist natürlich sehr ungerecht. Und es ist sehr verdienstvoll bis zu KD Wolff, der die Gesamtausgabe wohl in dem Stroemfeld Verlag herausgibt, relativ zögernd, auch ein bißchen zur Verzweiflung der Leute, die Regler lesen wollen in kleinen, zugänglichen Ausgaben, die durch die Gesamtausgabe ein bißchen verzögert sind zur Zeit – also bei all diesen Leuten will ich mich bedanken, und ich kann sie nicht alle erwähnen, ja? Natürlich Ralph Schock, und so weiter. Was ich über Regler weiß, weiß ich praktisch von Ralph Schock, der seine Dissertation bei Gerhard Schmidt-Henkel darüber gemacht hat. Und dann die Geschichte mit der Gustav-Regler-Forschungsstelle, aus der dann dieses verdienstvolle Literaturarchiv entstanden ist, Saar-Lor-Lux.

Was ist das eigentlich, wenn man auf irgendwas, auf irgend jemanden hinweist? Es ist der Versuch, das Beachtenswerte zu beachten. Was oft sehr erschwert ist, vor allem in Zeiten, in denen das Beachtenswerte verachtet ist. Dies gilt nicht nur für Schriftsteller, sondern dies gilt natürlich für alle anderen auch. Denn die Schriftsteller genießen stellvertretend eine Beachtung. Wodurch? Sie nehmen gleichzeitig die Beachtung den Nichtbeachteten. Natürlich wäre jeder beachtenswert. Aber das schaffen wir nicht, alle zu beachten. Es ist aber ein menschlicher Respekt, der sozusagen die Menschen erkennt. Und die Schriftsteller bemühen sich sozusagen, stellvertretend eine menschliche Spur zu begehen und zu hinterlassen. Das aufrecht zu erhalten, was man früher mal etwas hochtrabend das Humanitäre genannt hat. Weniger hochtrabend ist es das Menschliche, und sogar das Allgemeinmenschliche.

Ich will also hier auch auf etwas hinweisen, was eigentlich nicht bekannt ist. Und zwar nicht bekannt ist in einer Stadt, wo es sich ereignet hat, nämlich in Merzig. In der zweiten hohen Hälfte des 19. Jahrhunderts hat eine Frau aus einer reichen Familie, die studiert hat in einer Zeit, wo man hier als Frau noch nicht studiert hat, sich in einem Erholungsurlaub in einen späteren saarländischen Oberförster verliebt. Die Frau hieß Christine de Vries. Ein reiches Handelsgeschlecht derer de Vries. Und die hat sich in einem Erholungsurlaub, wie gesagt, in diesen späteren Oberförster verliebt, namens Ernst Steimer, der dann lange Zeit auf dem Wiesenhof in Merzig gelebt hat, und hat, gegen viele Widerstände der Familie, die sich gesträubt hat gegen diese Mesaillance, schließlich diesen Oberförster geheiratet. Und mit ihm, wenn ich recht in Erinnerung habe, elf Kinder bekommen. Hat sie, in ziemlicher Armut, weil das Gehalt eines Oberförsters nicht ausreichte, durchgebracht und alle studieren lassen. Und die wurden zum Teil sowas ähnliches wie Gymnasiallehrer auch in Merzig. Und später in Frankfurt haben die Töchter, die auch alle studiert haben, eine eigene Schule begründet.

Der Einfluß dieser Familie in Merzig ging sehr weit. Es ist ein Sittengemälde sozusagen entstanden in diesem Buch, das eine der Töchter dieser Christine de Vries zusammengestellt hat, zum Teil aus dem Holländischen übersetzt, aus Tagebüchern, Briefen und so weiter. Das liegt fertig und druckbar vor, hier ist es, sozusagen schon mal ein Probedruck. Und die Einflüsse gehen so weit in die damalige Gesellschaft hier hinein, zu allen Honoratioren, Pfarrer, Lehrer, und so weiter, Fabrikdirektoren, Mettlach, und so weiter. Eine dieser Töchter übrigens hat in London Calisthenie studiert, eine damals völlig neue Art zu tanzen, Kal-aisthenie, schön-ästhetisch, ja? und hat dann hier und an anderen Orten, in Mettlach, in Dillingen und bis Saarbrücken, den höheren Töchtern Calisthenie-Unterricht erteilt. Also eine ganz wunderbare Sache. Und es ist nicht der einzige Einfluß dieser großen Familie in eine Stadt, die damals sozusagen noch nicht so voll intellektuell belichtet war, wie sie es heute ist. (Bewegung im Publikum) Und dieser Einfluß, der ist ganz wichtig und bis heute zu spüren.

Und heute, wo sozusagen auf Personen hingewiesen wird, und auf das Hinweisenswürdige an Personen, wollte ich darauf hinweisen, weil das wirklich niemand kennt. Ich schlage also jetzt sozusagen nicht in eine Kerbe. Und die Urenkel dieses Ehepaars Christine de Vries aus Amsterdam und des Oberförsters Ernst Steimer, vier dieser Urenkel sitzen hier. Das ist meine Freundin Hildegard, ihre Schwester Brigitte, Helmut, der Bruder, und Hans Gerhard, den nenn ich zuletzt, weil er für mich der wichtigste – nach der Hildegard – ist (lacht), weil er nämlich für mich diese wunderbare Website gemacht hat, auf der alle meine Gedichte, die veröffentlichten und die unveröffentlichten, ansehbar sind. Diese Website hat eine Chiffre, die heißt zikaden.de, und hat auch einen Titel, nämlich: Sand am Meer. Sinn- und Stilübungen, unter der Chiffre zikaden.de. Ich will aber vor allem auf dieses Buch hinweisen. Sie werden staunen, wenn Sie das lesen können, zum Beispiel nachdem Herr Diwersy es verlegt hat. (Lachen) Ich danke Ihnen. (Beifall)

Entschuldigung, ich muß doch noch eine Sache sagen. Mein Lehrer war kein Päderast. Und er hat auch nicht sozusagen der Knabenliebe gefrönt. Der hat mich geliebt. Ja? Das ist ein großer Unterschied. Und ich bin etwas entsetzt – und es ist schwierig, heutzutage so etwas zu sagen –, daß der pädagogische Eros nun ganz in den Händen der Mißbrauchsbeauftragten verkommt. Das wollt ich einfach nur noch mal sagen, weil das auch nicht die allgemeine Meinung ist.